Ich habe mich damals dazu entschieden, meiner Familie alles zu verheimlichen. Nur Mama wusste es. Sie hat mit mir und meinem Freund gesprochen. Er war jeden Tag bei mir und unsere Bindung war sehr intensiv.

Den einen morgen als alle meine Freunde in der Schule waren, fuhr ich mit Mama, das zweite mal zum Arzt, um ein weiteres Mal eine Tablette ein zu nehmen. Heute wäre ich lieber in der Schule und würde diesmal sogar artig zuhören. Gedanken kreisten: Warum immer ich? Wird es das merken? Es tut mir so leid. Mein Baby.

Dieses Mal wird es passieren und es wird in mir sterben. Da ich nicht wusste was mich erwartet, hatte ich eine wahnsinnige Angst und der Gedanke mein eigenes Kind zu töten, der hat mich selbst halb umgebracht. Ich danke meiner Mutter sehr, dass sie immer für mich da ist und war. Sie ist so ein wundervolles Vorbild für mich.

Ich wusste dass ich diesmal den ganzen Tag in der Praxis bleiben muss, denn ich werde richtig Wehen und Schmerzen haben. Mama hat Karten mitgenommen und nach dem ich die Tablette in der Praxis eingenommen habe, spielten wir zur Ablenkung mit diesen Karten. Mir tut meine Mutter auch so leid, was bin ich nur für eine Tochter. Nach einigen Stunden (genau weiß ich es nicht mehr) ging es plötzlich los. Ich hörte nicht mehr auf zu weinen, es tat so weh und gleichzeitig “verblutete mein Herz”. Ich ging auf das Klo und das ganze Blut kam aus mir heraus. So starke Schmerzen, noch nie zuvor hatte ich so heftige Schmerzen. Nun musste ich mich auch noch übergeben. Ich sehe meine Mutter ihre Augen, ihre Angst, ihr Mitleid und alles tut mir so leid. Die Schwester bat mich ihr zu folgen, gab mir eine Nierenschale, bat mich auf eine Liege hin zu legen und überwachte meine Werte. Die Nierenschale war wohl ein schlechter Witz. Ich weiß nicht ob ich jemals zuvor so viel gekotzt habe, wie in diesen paar Stunden. Schmerzmittel lehnte ich dankend ab. Die ganze Praxis hab ich voll gebrochen, ein Eimer wäre wesentlich sinnvoller gewesen. Wieder war es mir peinlich, vor allem für meine Mutter, was sie alles mit mir durch stehen muss. Irgendwann kam der Arzt ins Zimmer und bat mich auf einem Stuhl platz zu nehmen, um eine Ultraschalluntersuchung zu machen. Er erklärte mir, dass ich jetzt wehen habe und zeigte mir auf dem Ultraschallgerät, wie meine Gebärmutter sich immer zusammen gezogen hat und wieder locker lies und das alles raus ist.

Ich dachte nur, ich habe nicht nur mein Kind getötet, sondern es gleichzeitig wie ein Stück scheiße im Klo herunter gespült. Ich hab es doch gefühlt, da war etwas lebendes in mir, ein kleines Wunder. Papa hab ich immer angemeckert, denn ein mal habe ich beobachtet, wie er einen toten kleinen Fisch im Klo entsorgte. Wütend war ich gewesen, wie kannst du so etwas tun, Papa? Und nun spülte ich mein eigenes totes Kind im Klo runter. Mama meckerte ich immer an, wenn ein Insekt im Haus war und sie drauf gehauen hat. Niemand hier soll jemanden töten. Mama gewöhnte sich dann immer an, alles mit Gläsern zu fangen und sie dann in den Garten zu bringen, manches nahm sie auch einfach in die Hand und setzte es dann nach draußen. Ich fragte mich wieder: Warum passiert ausgerechnet immer mir so etwas? Der Arzt teilte mir mit, dass er noch nie jemanden hatte, der so gebrochen und gelitten hat wie ich und es ihm leid tut.

Am Ende des Tages durften wir endlich nach Hause und ich legte mich nur noch in mein Bett und weinte. Mein Freund kam irgendwann zu mir, legte sich zu mir ins Bett und hielt mich in seinen Armen. Da ich nicht wollte, dass Papa oder meine Geschwister es mitbekommen, musste ich mich in Anwesenheit von ihnen immer zusammen reißen. Erst Jahre später habe ich es ihnen erzählt. Wenn ich aber alleine war, weinte ich viel. Fragte mich Dinge wie, was wäre es wohl geworden, wie hätte es ausgesehen und so weiter. Da ich mit vielen Freundinnen offen darüber sprach, vertrauten sich mehrere mir an, dass sie ebenfalls schon mal abgetrieben haben. Manche hatten auch andere Erfahrungen und hatten eine Ausschabung, statt einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch. Ich denke was nun von beiden besser ist, dass kann man nicht sagen. Nichts davon ist gut. So dankbar ich bin, diese Möglichkeit in mein jungen Jahren nutzen gekonnt zu haben, ist an einer Abtreibung nichts gutes oder schönes und sollte daher immer gründlichst überlegt sein. Für mich steht fest, ich würde es niemals wieder tun und mein Kind töten.

Für mich war klar einen solchen schlimmen Fehler möchte ich nie wieder machen. Ich möchte auch nicht mehr Tadelkönigin sein. Ich sprach mit meinen Eltern, ob ich freiwillig ein Schuljahr wiederholen darf. Für mich stand nun fest, ich möchte später eine gute Mutter sein, ein gutes Vorbild für meine Kinder werden und vor allem niemanden schaden. Mama sprach mit ihrer Schwester, diese erstellte mir ein Schreiben, mit diesem beantragte ich, ich glaube im Bezirksamt Spandau, eine Wiederholung des Schuljahres. Nach einigen Wochen kam eine Ablehnung, mit der Begründung, ich sei auf einer Hauptschule und da ist das nicht möglich. Ich dachte mir nur, egal , dann mache ich einfach so weiter und absolvierte im Ende des Schuljahres, einen erweiterten Hauptschulabschluss und wusste, dass ich erst ein Kind möchte, wenn ich mich finanziell sorglos um mein Kind kümmern kann und weiß was richtig ist und was nicht.

Ende 

2 thoughts on “Tabu – Thema Abtreibung: Teil 3

  1. Liebe Tammy,

    dein Bericht hat mich sehr berührt. Ich habe es 2x hautnah miterlebt .. mit meiner Schwester (damals 15J) ..und 27 J. später mit meiner großen Tochter (damals 16 J.)
    Beide hatten auch sehr unter ihren Entscheidungen gelitten ..
    Ich war aber jedes Mal froh, dass beide sich mir anvertrauten… und es war auch lange Zeit danach noch wichtig , dass sie jemanden zum reden hatten und es so mit der Zeit verarbeiten konnten.
    Alles Gute dir und liebe Grüße!

    Jeannette

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