Eigentlich kann man sagen, sie haben Papa Jahr für Jahr ausgeräumt. So entnahmen sie die Schilddrüse, die eine Niere, etwas Darm, den rechten unteren Lungenflügel, etwas vom linken und 3 Rippen. Wir wussten, dass an der Wirbelsäule noch ein Tumor sitzt. Eigentlich ein Wunder, dass mein Papa immer wieder nach ein paar Tagen im Laden stand und wieder gearbeitet hat oder gereist ist. Bis 2018 ist er auch fast ohne Schmerzmittel ausgekommen.

Tabletten nehmen, dass musste er erst in den letzten 3 Monaten seines Lebens lernen, im Krankenhaus.

Erst dieses Jahr über Neujahr war mein Vater im Krankenhaus, da hat er mir noch erzählt, dass er inzwischen selbst Angst vor einer Krankenhaus-Infektion hat, dass er immer seine Hände desinfiziert und auch schon “ne Macke” hat und die Türklinken, Waschbecken & Co desinfiziert. Das beruhigte mich wahnsinnig und ich war heil froh, dass mein Vater bis hier nie Hilfe benötigt hat und sich immer komplett alleine versorgen konnte. So hatte er ein geringeres Risiko Keime zu erhalten, weil er so weniger mit Personal in Kontakt kommt.
Ich habe auf Arbeit oft genug beobachtet wie Kollegen die resistenten Keime nicht ernst nehmen. Sie betreten ja nur kurz das Zimmer und deswegen lohnt es sich nicht die komplette Schutzkleidung anzuziehen, wenn sie zum Beispiel zu isolierten Patienten ins Zimmer gehen.

Keime sieht man nicht, deswegen nehmen viele diese nicht ernst, was sehr fatal und fahrlässig ist!!!! Oft sind es sogar Pflegekräfte die selber Kinder haben. Mag sein, dass diese Keime uns nicht schaden so lange wir gesund sind, dass sie aber in unserem Darm sitzen und wir sie erst spüren, wenn wir selbst erkranken und auf unser Immunsystem angewiesen sind, wird komplett ausgeblendet. 

Im März diesen Jahres, hatte mein Papa von den einen auf den anderen Tag so heftige Schmerzen, dass er sich selbst in das Auto setzte und ins Krankenhaus fuhr. Irgendwie war diesmal alles anders und ich hatte so große Angst vor dem was kommen wird, wie nie zu vor. Ich hatte geahnt was passiert, dass ich diesmal machtlos sein werde. 
Die Ärzte begannen Opiate zu verabreichen, welche als Nebenwirkung immer Stuhlgang Probleme verursachen, deshalb sprach ich diese Probleme immer und immer wieder an. Heute Tag 1 kein Stuhl, Tag 2 kein Stuhl….

Mein Vater selber sprach diese Dinge auch an, gleichzeitig verlor er Tag für Tag etwas Selbständigkeit. Erst konnte er seine Beine nicht mehr richtig koordinieren, dann konnte er nicht mehr gehen, dann nicht mehr stehen etc.

Da der Zustand rasant schlechter geworden ist, hätte man ihn auch sofort operieren müssen. Nach der erfolgreichen Operation, die dann erst 8 Tage nach Krankenhaus-Einweisung statt fand, bat ich auf der Intensivstation noch um einen Einlauf. ich erwähnte klar und deutlich meine Sorge und dass ich Angst habe das sonst ne Komplikation entsteht, dass ich es auch selber machen kann, es wäre kein Problem für mich, denn es ist mein Papa!!! Papa konnte nach der ersten OP seine Beine wieder spüren und sie auch wieder etwas bewegen. Die Chancen wieder laufen zu können waren sehr gut. 

,,Nein, nein, wir machen das schon – versprochen.“ 
Ja super, habe ich 3 Monate täglich, zu jedem Dienst, gesehen. Natürlich machten sie keinen Einlauf und wie ich es erahnte entstand eine Komplikation und es gab eine erneute Einblutung ins Rückenmark!!! Als Papa wach wurde, spürte er nun, ab unter der Brust abwärts, gar nichts mehr. Er kam damit nicht mehr zurecht, hatte sich so über den Erfolg der ersten OP gefreut und nun das. Er hat so gelitten, zog sich an den Haaren, bat uns als Familie ihm doch etwas zu spritzen, er möchte so nicht leben…..

Wir versuchten alles, um meinem Vater halt zu geben, seine besten Freunde und wir als Familie. All unsere Liebe gab meinem Vater Kraft wieder Mut zu fassen und zu kämpfen. So sprach ich mit Martin dem Physiotherapeuten, den ich für mein Leben dankbar bin, danke, danke, für deine Menschlichkeit. Er zeigte mir was ich alles machen kann, wir mobilisierten meinen Vater gemeinsam. Oft machte er Dinge, die er nicht hätte machen müssen, wie meinen Vater anziehen etc. 

Von nun an gab ich alles, um die Beine “zurück zu holen”. Ich war täglich stundenlang da und hab Papa immer wieder massiert, bewegt, mit ihm gesprochen, weil er immer wieder seinen Mut verloren hat, mit Schwestern und Ärzten diskutiert oder ihnen geholfen, meinen Papa zu versorgen. 
Meine Sorgen stellte ich ganz hinten an, sogar meine lebensnotwendigen Bedürfnisse wie essen und trinken, ich funktionierte einfach nur noch.

Ab der Komplikation, organisierte ich gleichzeitig die ambulante Weiter-Versorgung, durch einen ambulanten Palliativen Pflegedienst, habe einen Homecare-Arzt organisiert, dass mein Vater schnellst möglich nach Hause kann und sprach mit dem Oberarzt der Chirurgie und dem Arzt auf der ITS über einen Port, um eine sichere ambulante Versorgung zu gewährleisten. Den Krebs hatte mein Vater ja nach wie vor und das alles eine Frage der Zeit ist, war uns allen bewusst, aber das es nun so endet nicht! 

Auf der Intensivstation kam es zur ersten Diskussion um Würde, Qualität und Hygiene zwischen dem zuständigen Arzt im Dienst und mir, da ein Müll-Abwurf-Wagen als Tisch für meinen Vater benutzt wurde. 

Jetzt stehe ich neben meinem Papa, an seinem Bett. Mein Bruder sitzt gegenüber, an Papa seinem Bett und der Arzt steht fast neben mir, am Ende des Bettes, in dessen nun mein querschnittsgelähmter Vater liegt, völlig am Boden zerstört, wie ein Häufchen Elend. 
Mich beschäftigt vor allem die Sorge, mich jetzt, in dieser schweren Zeit, nicht mit meinem Vater zu streiten. Mehrmals äußerte er, er habe Angst, wenn ich Dinge anspreche, dass eventuell die Pfleger/innen oder Ärzte/innen ihre Wut, die sie auf mich haben, dann bei oder an ihm auslassen. 

So musste ich meine eigentliche Gefühlslage immer beiseite schieben. Eigentlich hätte ich mich gerne weinend und schreiend auf den Boden geworfen, wie ein kleines Kind, weil ich Angst um meinen Vater hatte, die neue Situation selber nicht ertrug….. Vielleicht hätte ich auch einfach gerne all meine Wut raus gelassen…. 

Zum Beispiel an der Schwester, die mir erklärte, sie könne jetzt nicht handeln, da sonst der Nachtdienst wütend auf sie wird. Der Chefarzt, der mir stolz und mitten auf dem Flur, in seinem Handy, den entfernten Tumor meines Vaters präsentierte als wäre es sein frisch geborenes Baby, oder die Schwester die auf der Intensivstation einen Müllwagen als Tisch für Papa benutzt hat, oder die Assistenzärztin die sich nicht die Hände desinfizierte, bevor sie meinen Vater angefasst hat. Vielleicht auch die, die ihn nicht versorgt haben? Das Frühstück vergessen haben oder täglich kaltes Mittagessen gebracht haben. Die sich über deren verursachten Komplikationen noch lustig machten? Die falsche Medikamente verabreicht haben, die Symptome ignoriert haben? 

Nein, ich sah meinen Vater immer an, atmete tief ein und war immer die Ruhe in Person.
Ich entschuldigte mich sogar jedes Mal dafür, dass ich dies jetzt leider ansprechen muss, dass ich es ja verstehe da ich selber Pflegekraft bin, aber gewisse Dinge eben einfach nicht gehen. 
Mein Vater erklärte dem Arzt auch, dass mein Vater seine Kunden immer ehrlich behandelt und dafür sorgt, dass sie immer mit Papas Arbeit zufrieden sind. Er meinte es, weil die Qualität den Ärzten und Pflegern völlig egal ist.

Ich bat den Arzt darum, dass sie mir jederzeit Bescheid geben können, bevor sie ihn schlecht behandeln oder keine Zeit für ihn haben, sie können mich Tag und Nacht anrufen, ich mache das sogar gerne und werde später auch Zuhause die Pflege, für meinen Vater übernehmen.

Der Arzt hatte plötzlich viel Zeit und begutachtete meinen Vater. Er zog eine überflüssige Schmerz-Pumpe, legte neue Zugänge, da die alten schon zu lange lagen und bemühte sich zwecks Urin-Katheter, da es mein Vaters Wunsch war, zu wissen ob er noch alleine Urin lassen kann und mein Wunsch war, den Schlauch aus den Körper meines Vaters zu bekommen. Laut dem Robert-Koch-Institut entstehen so auch die häufigsten Krankenhaus-Infektionen und es gibt für Männer schließlich auch Urinal-Kondome, wenn der Urin selbst abläuft kann man diese nutzen, je länger ein Katheter liegt, desto Träger wird auch der Schließmuskel und hat dann “keine Lust mehr zu arbeiten”. 
All das wollte ich verhindern.

Am nächsten Tag rief der Arzt mich morgens an und erklärte mir, dass Papa wieder auf die Station kommt, Darmgeräusche sind hörbar und er habe auch abgeführt. Gestern sah ich es selbst, da ich blieb und versprach so lange zu bleiben, bis jemand endlich etwas tut. Jedoch waren es kleine Mengen und ich erkundigte mich nochmal danach. Laut dem Arzt und der Schwester ausreichend. Na gut, Ärzte werden schon wissen was sie machen, vertraue ich Ihnen mal wieder. 
Kaum auf Station, ging das ganze Spiel von vorne los. Mein Vater klagte über Bauchweh und Sodbrennen. Mein Vater und auch ich baten um einen Einlauf, später auch meine Schwester und seine Mutter. Sie gaben Papa immer nur etwas gegen Sodbrennen und als ich dann abends schon sauer wurde, da schlossen sie eine MCP-Infusion an, gegen Übelkeit!!!!

,,Ja, ja, nach der Infusion können wir dann ein sog. Klistier machen.“ 
Dazu kam es nicht, denn ein erneuter Darmverschluss trat ein. 

Jetzt folgten Sprüche wie:,,Wir sind hier auch keine Gastroenterologie.“ ebenfalls folgte ein tagelanger Aufenthalt auf der Intensivstation, bei vollem Bewusstsein. Mein Vater hatte nun das Vergnügen zu sehen, wie eine ca 60-jährige Frau quasi 7x gestorben ist und immer wieder wiederbelebt und operiert wurde, obwohl sie gar nicht mehr lebensfähig wäre, denn der gesamte Brustkorb ist innerlich durch eine Lungenembolie “weggesprengt” worden. Sie haben sie nur zum Abrechnen von Leistungen am Leben erhalten und weil keine Familie oder keine Patientenverfügung auffindbar waren. Willkommen in der Realität!!!!!!

Fortsetzung folgt

Ende Teil 2


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